DIE DIGITALSTRATEGIE UND IHRE UMSETZUNG

Spätestens nachdem der Schraubenhändler Würth durch seine Digitalisierung über sich reden macht, dürften sich einige gefragt haben, was denn am Thema Schrauben überhaupt digital sein kann? Bekommt diese jetzt Sensoren in der Wand, um über eine App die Zugkraft des daran aufgehängten Bildes auslesen zu können? Oder spricht die Schraube über Amazons Alexa mit mir, um mir zu sagen, dass nach fest auch ab kommt?

Nein, natürlich beides Quatsch – wobei ich mir letztere Funktion schon manchmal wünschen würde. Aber genau bei diesen überspitzten Darstellungen wird ein Problem im #Neuland deutlich. „Was ist überhaupt diese Digitalisierung, über die alle sprechen?“ Und wie kann oder muss sich unser Unternehmen im Rahmen einer Digitalstrategie darauf einstellen? 

Die Strategie selbst hat sich dabei auch im Digitalen nicht geändert. Unsere Strategie gibt vor, wie wir uns als Unternehmen verhalten um mittel- oder langfristig unsere Ziele zu erreichen. In den letzten Jahrzehnten konnten wir dabei aber eines feststellen. Durch eine zunehmende Vernetzung der Wirtschaft und durch die gestiegenen Geschwindigkeiten beim Transport von Produkten und Menschen aber vor allem im Datenaustausch ist diese lange Perspektive eines Unternehmens zunehmend kürzer geworden. Wir vergessen oft, dass Google in diesem Jahr gerade einmal 20 Jahre alt geworden und alles andere als „fertig“ oder „angekommen“ ist. Wenn wir ehrlich sind, ist Google sogar eher einer der Treiber der digitalen Innovation, der uns immer wieder dazu veranlasst Anpassungen im Sinne von Bedienbarkeit und Auffindbarkeit durchzuführen. 

So sprechen wir uns aber auch ganz klar gegen digitale Roadmaps in ihrer klassischen linearen Form aus. Die Digitalisierung besteht nicht aus einem Anfangs- und einem Endpunkt. Das war im analogen Zeitalter nie so und ist auch heute ein andauernder Prozess. Die Digitalstrategie sollte dieser Tatsache Rechnung tragen und sowohl in Ihrer operativen Umsetzung einen iterativen, agilen Ansatz verfolgen als auch in ihrer Langfristigkeit davon ausgehen, dass jederzeit eine vollkommen unerwartete Disruption unseren gesamten Markt neu verteilt. 

Oder um es in anderen Worten auszurücken. Die Strategie kann im digitalen nur einen breiten Korridor als Richtung vorgeben. Trial and Error sind jedoch die schnellste Art diesen Weg zu gehen. Für manche Branchen mag dies schwer vorstellbar sein. Es würde auch niemand auf die Idee kommen ab sofort die Flugfähigkeit von Flugzeugen auf diese Art zu testen. Jedoch haben die Gebrüder Wright und zuvor Leonardo da Vinci nichts anderes gemacht. Zum Glück können wir diese Tests heute digital durchführen. 

Aber zurück zur Digitalstrategie. Heute ist es in den meisten Unternehmen eigentlich Standard, einen jährlichen Prozess der strategischen Planung durchzuführen. Daran beteiligt sind Abteilungen wie Finanzen, Vertrieb oder das Produktmanagement, aber auch anders orientierte Abteilungen wie bspw. das HR sind nicht ausgeschlossen davon. 

Die Digitalstrategie sollte dabei zumindest integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie sein, wenn nicht sogar die Unternehmensstrategie selbst, denn diese gilt – mit ihrer Zielsetzung: „Der Festlegung von kurz-, mittel- und langfristigen Unternehmenszielen zum Erhalt und dem Ausbau des Erfolgs des Unternehmens, im digitalen“ – mit der zunehmenden Digitalisierung von allem praktisch für alles. Eben alle Maßnahmen um die gesamte Wertschöpfungskette im Unternehmen zu digitalisieren. Nun soll das Ganze aber nicht um seiner selbst stattfinden, sondern natürlich zur Senkung von Kosten, Steigerung der Effizienz und der Vermeidung von Fehlern. 

Also schauen wir uns den Strategieentwicklungsprozess im digitalen doch einmal an:

Digital adaptierter klassischer Strategieprozess. 

In einem klassischen Projektverlauf würden wir uns für den Strategieprozess genau in einem solchen Schaubild wiederfinden. Dieser ist auch wichtig, um es besser nachvollziehbar zu machen. Wir beginnen mit der Erfassung des Status quo, sezieren diesen und überlegen uns auf dieser Grundlage, wohin wir möchten. Dies packen wir in einen Projekt- und Maßnahmenplan, den wir abarbeiten, um nach der Zeit X zu dem gewünschten Ergebnis zu kommen.

Wir beginnen, wie in jedem Prozess, mit der Bestandsaufnahme oder der Analyse. Wie geht es der Branche? Wer sind unserer Wettbewerber? Wer sind unsere Kunden und wer benutzt am Ende des Tages unsere Angebote? Wie lässt sich der Markt segmentieren? Ist diese Segmentierung nur für uns sinnvoll oder verhalten sich unsere Kunden ebenfalls so? Welche Produkte haben wir im Portfolio? In welchem Abschnitt des Produktlebenszyklus befinden sich unsere Produkte? Welche Produkte stehen in direkter Konkurrenz und welche bieten uns denselben Nutzen? Gibt es ernst zu nehmende Megatrends, die für uns von Vor- oder Nachteil sein können? Und wie steht es im Allgemeinen um unser Unternehmen? Was sagen unsere Mitarbeiter, was das Management? Wie stehen wir finanziell da und gibt es vielleicht gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die sich auf uns auswirken? Auch eine SWOT-Analyse sollte dabei durchgeführt werden. Alle diese Daten, Interviews und Gedanken zum Unternehmen und dem Markt fließen dann in eine Momentaufnahme ein – unserer strategischen Ausgangsposition. 

Zu beachten ist an diesem Punkt der Aspekt, dass alle Daten, die uns vorliegen, und alle Informationen niemals reichen werden, um ein vollständiges Gesamtbild zu erhalten. Die Informationen, die wir erheben, können bspw. veraltet sein oder im Falle von Interviews Vorurteile beinhalten. 

Anschließend daran entwickeln wir die digitale Zukunft. Primär bedeutet dies, dass wir uns mit den Fragen nach dem zukünftigen Portfolio, unserem Werteversprechen und der Frage nach den dahinterstehenden Prozessen beschäftigen. Wir entwickeln Szenarien in Form von Kosten-/ und Einnahmeströmen, möglichen Partnerschaften aber auch notwendigem und vielleicht noch nicht im Unternehmen vorhanden Know-how und planen die notwendigen Milestones zur Implementierung unserer Strategie. Welche Teilprojekte wird es geben? Wie und anhand welcher KPIs messen wir deren Ziele und wer wird dafür die Verantwortung tragen? 

Im 3. Teil der Umsetzung wird der digitale Ansatz dann direkt sichtbar. Eine agile Umsetzung in Sprints führt dazu, dass wir schnell zu Ergebnissen kommen und diese auch schnell auf ihren tatsächlichen Impact in der Realität testen können. Ebenso ermöglicht uns dies, zügig gegensteuern zu können, insofern wir feststellen, dass diese nicht zum gewünschten Ergebnis führen. Aber ich möchte dies in einem Beispiel darstellen: Wir haben in der Strategieentwicklung festgelegt, dass wir unser Produkt am besten mit einem „Pay per User Model“ im Markt platzieren. Wir stellen aber sehr schnell – auch durch Userfeedback – fest, dass ein Abomodell für einen Teil der Nutzergruppe deutlich interessanter zu sein scheint. In der Essenz ist ein Abomodell für uns ebenso spannend, da wir dadurch eine gewisse Planungssicherheit erhalten. Der logisch nächste Schritt ist also, dass wir zumindest ein A-B-Testing durchführen, unsere Usergruppen in zwei vergleichbare Segmente aufteilen, um festzustellen, ob die durch das Userfeedback getroffene Annahme in Bezug auf das Preismodell auch der reellen Nutzererwartung entspricht. Möglicherweise liegt die finale Lösung auch in einem Pay per User Model mit einer Option auf ein Abo als „Kostenbegrenzer“ für Heavyuser. Auch der Kommunikation sollte im dritten Teil eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommen. Welche Stakeholder haben wir (Mitarbeiter, Investoren, Azubis, Öffentlichkeit, Politik, Medien, Anwohner, Lieferanten, Kunden…) und welche Botschaften sind für welche dieser Personengruppen relevant und über welche Touchpoints erreichen wir sie? 

Im letzten Step skalieren wir das neu entwickelte Modell, das sich im Kleinen bewährt hat auf den Gesamtmarkt oder das nächste anvisierte Marktsegment. 

Nehmen wir uns o. g. Beispiel für unsere Überlegung heran und ziehen die anfangs angesprochenen Aspekte mit ein, kommen wir zu dem Schluss, dass die Entwicklung einer digitalen Strategie zwar einmal beginnt, aber niemals abgeschlossen sein wird, da sich alle Rahmenbedingungen konstant wandeln und wir mit jedem abgeschlossenen Sprint unsere Annahmen wieder auf ihre reellen Auswirkungen hin überprüfen. Aus dem oben aufgezeigten Prozess mit einem Kick-off und einem Endpunkt wird somit ein fortlaufender Prozess, in dem wir uns die eingangs gestellten Fragen immer wieder stellen. 

Der Prozess wird also zu einem Kreislauf. Unser Produkt ist niemals fertig und der Prototyp die neue Norm – da es ja morgen schon ganz andere Anforderungen geben kann. 

Die Inhalte der einzelnen Steps unterscheiden sich dabei nicht von einem klassischen Prozess, jedoch führt der stetige Wandel im digitalen dazu, dass sich auch die Aspekte innerhalb unseres Strategiekreislaufs ständig verändern. 

Fundamentalstrategen werden jetzt sagen, dass ich hier in unzulässiger Weise Strategie und Maßnahmen verknüpfe – und Sie haben etwas recht. Nehmen wir als Beispiel die Automobilindustrie. Ein berechtigtes strategisches Ziel kann hier sein: „Wir möchten der größte Automobilhersteller des Planeten werden.“ Dieses können wir mit vielen Maßnahmen erreichen, und wenn eine nicht funktioniert, testen wir die nächste. So weit, so klassisch. Aber: 

  1. Die Zielformulierung wäre lückenhaft. Was bedeutet der Größte (Umsatz, Anzahl der produzierten Fahrzeuge, höchster Profit, meiste Mitarbeiter)?
  2. Vor allem aktuell sehen wir hier in welcher Geschwindigkeit sich Rahmenbedingungen ändern können und dadurch unserer Strategie gefährlich werden können. 
    • Anpassungen von Schadstoffgrenzwerten und Dieselfahrverbote führen zu einer nachlassenden Nachfrage bei der Cash Cow (dem Diesel) der Fahrzeughersteller. 
    • Ein verändertes Zulassungsverfahren sorgt dafür, dass unsere Modellpalette deutlich eingeschränkt ist, da wir uns nicht rechtzeitig auf die neuen Zulassungen eingestellt haben. 
    • Ein Autopionier aus Kalifornien macht vor, dass auch Elektroautos profitabel produziert werden können, und überholt in Börsenwert und absoluten Verkaufszahlen etablierte Premiumhersteller. 
    • Einer der größten Absatzmärkte der Welt führt eine e-Auto-Quote ein. 
    • Softwarelösungen, Fahrassistenzsysteme, Medien und Conciergeservices werden wichtiger als die PS eines Fahrzeugs.
    • Öffentliche Verkehrsangebote sowie Carsharing nehmen zu.
    • Nutzen ist das neue Besitzen. 

Einwand: „Ja, aber wir wollen doch immer noch der größte Autohersteller werden. Das verändert doch daran nichts.“

Doch, eben genau das tut es. Wenn unsere Angebote aufgrund sich verändernder gesellschaftlicher Rahmenbedingungen nicht mehr attraktiv sind, dann werden wir in absehbarer Zeit nicht mehr um den ersten Platz kämpfen, sondern ums Überleben. 

Insofern wir jedoch einen agilen Strategieprozess wählen, hätten wir bereits seit Jahren durch kleine Tests auf diese potenziellen Änderungen reagieren können und heute möglicherweise eine Maßnahme, die „nur noch“ skaliert werden muss. Und somit ist in einem digitalen Ökosystem die Verknüpfung von Strategie und Maßnahmenkatalog nicht absolut falsch. Wenn wir auf den klassischen Strategieprozess zurücksehen, könnten wir dies am ehesten im Punkt „Entwicklung von Szenarien“ wiederfinden. Der Unterschied im digitalen liegt in der Beachtung aller Szenarien und der direkten Evaluation. 

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die richtige Fokussierung in der Strategieentwicklung. Wir haben schon häufig gelesen, dass es den klassischen USP nicht mehr gibt. Produkte und Services seien austauschbar und daher der Erfolg nur vom Werbedruck abhängig. Ganz von der Hand weisen, können wir diese Argumentation auch nicht. Viele Produkte, Anbieter und Marken sind austauschbar. Und genau aus diesem Grund ist es um so wichtiger, dass unsere Strategieentwicklung von Anfang an unter dem Gedanken der Value Proposition stattfindet. 

Welchen Wert schaffen wir für den Kunden und den Verwender? 

Welche Werte geben wir gleichzeitig mit?

Dementsprechend müssen wir uns im Strategieprozess primär die Frage stellen: „Welchen Nutzen liefern wir dem Kunden?“ und nicht die Frage: „Wie steigern wir unseren Umsatz?“ 

Dream big, start small and keep the faith.

Zuletzt möchten wir das ganze Thema noch zusammenfassen und in ein paar relevante Schlagwörter fassen: 

1. Die Digitalstrategie und Umsetzung betrifft alle.

Ohne die Unterstützung aus der Chefetage kann die Digitalisierung nicht gelingen. Denn dafür werden Ressourcen in Form von Finanzen und Personal benötigt. Das notwendige Know-how kann eine Agentur oder ein Berater beisteuern. Genauso relevant ist es jedoch, jedes Level im Unternehmen und jeden Stakeholder von Anfang an mit zu nehmen, um Ängsten die Grundlage zu nehmen und eine breite Unterstützung zu erhalten. Die Anforderungen an Digitalprojekte sind so umfangreich, dass Silodenken und Zuständigkeitsgerangel keinen Platz haben. Es geht um die Sache und den zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg. 

2. Insellösungen müssen nicht falsch sein.

Die Digitalstrategie wird uns ein übergeordnetes Ziel vorgeben, auf das es hinzuarbeiten gilt. Um dies aber greifbar zu machen, zerlegen wir es in viele Teilprojekte. Diese können dazu neigen Insellösungen zu produziere – eine Erfassung von Kundendaten hier, ein Blog dort, eine Vertriebsapp, ein Newslettertool. Im Sinne einer schnellen Umstellung empfehlen wir sogar diese Insellösungen, solange jemand den Überblick behält und langfristig darauf hinarbeitet, diese zu verknüpfen. Warum wir das machen? Weil eine kurzfristig umsetzbare Lösung für den Vertrieb einen größeren Impact haben wird als ein langfristig perfekt geplantes Projekt, dass aber ewig in der Umsetzung benötigt und dessen Nutzung in den Sternen steht. 

3. Realistische Zieldefinitionen

Der agile Ansatz einer Digitalstrategie und einer digitalen Umsetzung führt grundsätzlich zu Verzögerungen, zu Zusatzaufwänden und zu Anpassungen teilweise im Wochentakt. Eine Zieldefinition muss in Abhängigkeit von diesen bekannten Fallstricken entwickelt werden, sonst ist sie unrealistisch und führt zu Frustration. Im Idealfall wird ein Ziel je Projekt oder sogar je Projektsprint definiert. 

4. Denken wir Strukturen und Prozesse neu.

Der erste Punkt geht in die gleiche Richtung, aber wir können dies nicht oft genug sagen. Was haben diese Personen und Rollen gemeinsam: Productmanager, E-Commerce Manager, stationärer Handelsmanager, Websitemanager, Service Hotline, Social Media Manager, Customer Service Manager und Vertrieb? Richtig – sie arbeiten alle daran, unser Angebot an den Kunden zu bringen. Unser Productmanager möchte daher möglichst viele Infos zu seinem Produkt im Netz oder im Regal haben. Der oder die Verantwortliche für die Markenwebsite möchte emotionalisieren, der Vertrieb einen guten Preis und der Social Media Manager Stories. Alle verfolgen ein Ziel, also müssen wir sie alle auf denselben Stand bringen. Es nutzt uns nichts, wenn online die neueste Produktgeneration mit super speziellen Sonderfeatures zum Kauf steht, diese über Social Media mit einer genialen viralen Kampagne bekannt gemacht wurde und der Vertrieb noch die letzte Generation des Geräts für die Kundenpräsentation eingepackt hat. 

5. Keine Angst – just do it.

Wo gehobelt wird fallen Späne. Fehler passieren und sie sind auch nicht das Ende der Welt. Wir leben schon immer in der Veränderung. Im Digitalen hat sich nur die Geschwindigkeit erhöht, mit der diese stattfindet. Probleme bekommen wir nur dann, wenn wir stehen bleiben, denn einer unserer Wettbewerber wird den steinigen Weg erfolgreich gehen. 

In diesem Sinne: Analyze – Concept – Implement – Adapt – Analyze Embrace the digital transition.

– Dies ist ein Repost meines Blogartikels für KWP Communications vom 22.11.18 zu meinem Kernthema Strategie, Digitales und Digitalisierung. 

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