Mit zu den spannendsten Dingen in meinem Job zählt es einfach, nur die Augen offen zu halten. Beobachten was andere Menschen so tun und lassen. Wie sie das machen und ob sie das allein anders machen als in einem Grüppchen. Mitunter führt das aber bei mir auch immer wieder einfach nur zu unverständlichem Kopfschütteln.
#UndfürmeinungebrochenesUnverständnisgegenüberderWelt.
Aber warum ist das so und was hat jeder einzelne von uns damit zu tun? Beginnen wir der Ubiquität halber einmal bei der Schlacht am kalten Buffet (Boomer für: „Ich haue mir meinen Teller so voll, dass die Hälfte runterfällt, alle Geschmäcker sich vermischen und ich alleine durch einen Teller ca. 1,7kg zunehmen werde.“) – natürlich beschränkt sich das nicht auf eine Altersgruppe sondern eher auf einen Schlag Mensch den wir in jedem Alter und in den meisten sozioökonomischen Segmenten. Wahrscheinlich ist der Driver dahinter auch gar nicht das Alter oder Status sondern eher #Fomo (Fear of missing out). Fomo nach Geschmack, Kalorien oder einfach Völlerei.
Immerhin war es schon in Rom üblich, sich bei Fressorgien zu übergeben um befreit von unnötigem Ballast weiter zu Speisen. Das ist also nichts Neues. Keine spätkapitalistische Ausprägung von Dekadenz also – oder doch? Hieße das nicht auch, dass Rom und Heute ähnliche gesellschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen haben/ hatten?
Aber von dieser Beobachtung, die einem vor allem bei Familienfeiern oder im All-Incl. Urlaub auffällt, ist es kein weiter Weg zum generellen Konsumverhalten.
Ich wollte zwar erst auf etwas anderes eingehen aber kann den Gedanken zum laufenden Motor nicht zur Seite schieben. Wieso lassen Menschen – jeden Alters – die GenZ ist da nicht außen vor (!) Ihr Auto irgendwo stehen (vor einem Bäcker bspw. Aber auch auf dem Parkplatz eines Baumarktes oder sogar in der Tiefgarage im Shopping Center (Ja – „CO–Vergiftung“ gibt’s for free on top) und dabei den Motor laufen? Benzin scheint den meisten immer noch zu günstig zu sein? Das Klima scheint den meisten immer noch nicht warm genug zu sein und von dem Gestank ums Auto herum ganz zu schweigen.
Doch halt. – dafür gibt es sogar eine relativ einfache Erklärung. Zum einen fallen der Zeitpunkt des Kaufs und der Zeitpunkt des Verbrauchs auf verschiedene Zeithorizonte. Bedeutet bis ich meinen Kraftstoff verbrauche erinnere ich mich nicht mehr an den Preis den ich dafür bezahlt habe und wenn ich Tanke, habe ich bereits vergessen für welche sinnlosen Spazierfahrten, Protzereien oder eben Mal schnell stehen und laufenlassen ich es verblasen habe. Die Klimaauswirkungen versteht sowieso niemand… Das Konsumverhalten und die persönliche Reaktion darauf sind also abhängig vom Zeitpunkt. Ist jetzt auch nichts wirklich so Neues. Der Kaffee gehört ja auch eher zum Frühstück und der Rosé in den Feierabend.
Aber jetzt erstmal zu Salat. Eigentlich wollte ich über Salat schreiben. Das Wort „Salat“ stammt von französisch salade, italienisch insalata, von lateinisch sallita und bedeutet ursprünglich „eingesalzen“. Salate sind also gemäß dem Wortsinn mit Salz haltbar gemachte Speisen. (Danke @Wikipedia) was schon das erste Interessante. Heute bezeichnet Salat ja eher etwas Frisches und Knackiges. Aber fahren wir fort in der Geschichte des Ganzen. Salat war also Mal etwas Haltbares. Bis zur Industrialisierung und der gleichzeitig immer stärker zunehmenden Verstädterung, wurde Salat von Bauern angebaut und auf den Märkten der Städte tagesfrisch – verkauft, verspeist oder weiterverarbeitet. Es gab gleichzeitig noch eine große Subsistenzwirtschaft. So hat sogar noch um 1900 herum ein Landwirt ca. 4 Personen ernährt. Der Selbstversorgungsgrad bei Nahrungsmitteln lag damals bei 87 Prozent.
https://www.pflanzen-forschung-ethik.de/kontexte/land-wirt-schaft.html
Wenn wir den Projektionen der globalen Bevölkerungsentwicklungen gerecht werden wollen, muss sich diese Zahl bis 2100 nochmals knapp verdoppeln (global betrachtet – Projektion der Bevölkerungsentwicklung auf knapp 11 Mrd.)
https://www.bauernverband.de/situationsbericht/1-landwirtschaft-und-gesamtwirtschaft/12-jahrhundertvergleich
Gleichzeitig hat sich der Aufwand den wir für unser Essen betreiben als deutsche Verbraucher (wahrscheinlich adaptierbar auf West- & Mitteleuropa) dramatisch reduziert. Hier könnten wir bereits zwei interessante Gründe für den Salatkonsum sehen (Keine Verbindung zu Aufwand und Produktion sowie kein Wert) – über den ich noch gar nicht gesprochen habe.
Also kommen wir zur Frische-Zone im Supermarkt. Als Konsument:Innen kommen wir in ganz unterschiedlichen States of Minds im Supermarkt an. Die Meisten von uns haben jedoch eins gemein: Wir sind gestresst, haben keine Zeit, wollen eigentlich nur noch schnell einkaufen, haben vielleicht noch ein Kind an der Hand aber zumindest ein Telefon. So laufen wir in Lidl, Rewe, Aldi, Edeka und begegnen einer grünen bunten Oase die vor allem eins macht. Sie bremst uns. Wir schauen uns um. Sind angetan von all den frischen ansprechenden Früchten und Gemüsen und packen etwas davon ein um danach nicht mehr durch den restlichen Markt zu rennen sondern zu schlendern. Um diesen Effekt zu erwirken muss diese Zone aber eben zu perfekt aussehen – also keine rotten Tomatoes, keine krummen Gurken und alles wundervoll glänzend.
© luckybusiness / Fotolia.com – Sry für das grausame Stockfoto.
Davon kaufen wir uns dann zwei Kilo Tomaten, eine Salatgurke, Pilze, Avocados (ja ganz viele davon), Bananen und Äpfel um sage und schreibe 42% davon in die Tonne zu verfrachten. (30% der Gesamtproduktion ist niemals bei uns angekommen da sie nicht der Norm entsprach – Quellen: https://toogoodtogo.de/de/movement/knowledge/what-food-is-wasted & https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittelverschwendung/studie-lebensmittelabfaelle-deutschland.html)
Die Obst- und Gemüseabteilung tut dabei übrigens nur Ihren Job. Sie verkauft so viel von dem Grünzeug wie sie soll. Die Schuld der Verschwendung liegt eher bei uns Verbrauchern – aber tut sie das? wenn wir durch alle nur vorstellbaren Mittel dauerhaft dahingehend verführt werden noch mehr zu kaufen? Aber schauen wir auch hier nochmal hin auf das was wir sehen. Im Supermarkt 137 verschiedene Obst und Gemüsesorten schön verpackt in Plastik… (no comment) von jedem zu betrachten. Alle nehmen das Päckchen mal aus dem Regal. Überprüfen es von allen Seiten (Transparentes Plastik hat auch Vorteile) und packen es – wenn es gefällt in den Einkaufswagen – wo es aufgrund der Schräge direkt nach hinten rutscht, damit aus den Augen verschwindet und – Schwups schon vergessen ist – „Wir haben ja noch nicht so viel gekauft, da geht noch mehr.“
Zuhause verfrachten wir das ganze Ding dann im Kühlschrank in der 0-Grad Obst- und Gemüsezone und vergessen einen viel zu großen Teil dort bis er uns als schleimiges Etwas wieder begegnet.
Horten nutzt niemandem.
Ich möchte an dieser Stelle aber eine Lanze für die Konsumenten brechen. Es ist nicht Eure oder unsre Schuld, dass wir so viel Verschwenden. Niemand bringt uns bei wie lange Sachen sich wirklich halten. Niemand bringt uns bei vorausschauend einzukaufen. Niemand lehrt uns das Kochen. Und des Gesellschaftliche Konsens ist trotz vieler Initiativen und Bewegungen in Richtung Nachhaltigkeit, nach wie vor Frisch ist Besser – das lässt sich übrigens sogar auf Menschen übertragen #Jugendwahn, #GenZweisundmachtallesBesser, #Leyla.
Und dann kommt noch die andere Seite der Produzenten und Marken dazu, die uns dann eine Verpackung andreht die genau so viel beinhaltet, dass es viel zu viel für ein Single ist und leider grade so nicht für eine Familie reicht weshalb ich zwei Packungen davon brauche, von denen ich dann die zweiten 60% zu viel wieder wegwerfen kann. Verpackungsgrößen die einem echten Verbrauch entsprechen wären doch echt was cooles…
Vor ein paar Monaten hatte ich Glück im Unglück. Auf dem Weg nach Berlin hatte ich eine Nierenkolik und musste schnell mit dem Rettungswagen aus dem Zug ins Krankenhaus in Fulda gebracht werden. Nach Bluttest, Urintest und CT bekam ich eine Entwarnung und wurde entlassen. Das Glück war jedoch eher die Beobachtung, die ich danach in der Krankenhaus Cafeteria machen konnte als ich auf einen Freund wartete der mich zurück nach Hause fuhr.
Dort saßen zwei Männer und eine Frau. Alle drei etwa Mitte 50 und unterhielten sich über Ihre Wehwehchen und die aktuelle Behandlung. Während die Frau sehr zufrieden mit dem Voranschreiten Ihrer Genesung war, konnten sich die Männer überhaupt nicht dazu durchringen auch nur ein positives Wort an der Klinik zu lassen. Zum einen wäre die Diagnose vollkommen falsch, die Behandlung falsch, es nicht nachvollziehbar warum eine Corona Impfung notwendig sei und überhaupt dem Krankenhaus vorzuwerfen, dass er bis heute keine Kernspinntomographie erhalten habe. Deshalb hätte er sich jetzt in einer Privatklinik noch einen Termin für eben diese geben lassen. Das muss er zwar privat bezahlen, aber dann hat er wenigstens ein echtes Ergebnis.
Kopfschütteln. – Bis heute.
Aber auch hier die Beobachtung des Kaufverhaltens: „Ich fordere das Beste. Wenn ich das nicht bekomme – weil ich es wohl auch nicht brauche – ist alles Scheiße und dann besorge ich es mir halt irgendwo anders, wobei gleichzeitig der aktuelle Lieferant diskreditiert wird.“
Ich nehme mich aus so einer Einstellung nicht Mal heraus. Vor allem mit Lieferdiensten hab ich echt meinen fair share of Bullshit – aber ich finde es im Falle eines Krankenhauses und einer medizinischen Diagnose – bei der ich den Expert:Innen vertrauen sollte – schon grenzwertig.
Vielleicht ist das aber auch ein deutsches Ding. Wir sind weltweit dafür bekannt: Overengineering. Overthinking.
Immerhin könnten wir sagen bei Lebensmittelverschwendungen sind wir nicht die Schlimmsten. Aber das wäre m.E. unpassend. Jede Verschwendung ist falsch vor allem bei Lebensmitteln. Und ob Amerikaner oder Chinesen pro Jahr 10kg mehr oder weniger in den Mülleimer donnern, ist auch wirklich nicht der springende Punkt.
Der springende Punkt ist dass wir uns ein System gebaut haben, in dem von der Produktion bis zum Verbrauch alles dafür getan wird möglichst viel zu verkaufen. Im Grunde ist dieses System in der Produktion sogar gut, denn nur durch massive Effizienz-Steigerungen werden wir 11 Milliarden versorgen können. Aber sollten wir auf der Verbraucherseite nicht eher darauf hinarbeiten, dass das verbraucht und genutzt wird was auch gebraucht wird?
Oder ist dieser Gedanke zu einfach? Bedeutet nicht Freiheit auch genau diese Freiheit 3kg zu kaufen und davon nur ein halbes zu konsumieren? Vielleicht haben wir durch 50 Jahre Überfluss auch eine absurde Vorstellung von Freiheit bekommen.
Wie seht Ihr das?