Fashion oh my darling.
Als ob‘s gestern war, erinnere ich mich noch an Headlines zu Primark und Fast Fashion. Nachdem zunächst Zara H&M den Rang abgelaufen hatte, S’Oliver längst Geschichte ist und wir alle unser Ball-Outfit in Puppengröße über Temu bestellt haben, denke ich es ist Zeit wirklich einmal vor Glück oder Frust in den Spiegel zu schreien, ob das denn alles noch irgendwie nachvollziehbar ist oder wir uns am besten unter einem großen Haufen Mode der letzten Kollektion in irgendeiner Müllhalde einlullen sollten, um wenigstens nicht zu frieren.
Die Textil- und Modebranche erfährt, seit es Technologie gibt, einen tiefgreifenden Wandel. Durch die fortschreitende Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) gewinnt dieser nochmal enorm an Dynamik. Wo einst mühsame Fotoshootings und intensive Marktanalysen, Trend Scoutings und kleine Boutique-Labels den Kern des Marktgeschehens ausmachten, stellen heute digitale Avatare, automatisierte Analysen und lernfähige Algorithmen die Weichen für eine neue Epoche. Einerseits eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten für Effizienz, Kreativität und Kundenbindung; andererseits sind es genau diese Innovationen, die drängende Fragen zu Nachhaltigkeit, Authentizität und ethischem Handeln aufwerfen. Ein genauer Blick auf aktuelle Trends offenbart, wie stark KI das Textilmarketing bereits prägt – und wo zugleich ihr Konfliktpotenzial liegt.
KI-generierte Models: Ein neues Gesicht für Werbekampagnen
Führende Modehäuser setzen bereits zunehmend auf KI-basierte Models, um ihre Kollektionen zu präsentieren. Das spanische Label Mango verzichtet etwa in manchen Fällen auf menschliche Models und nutzt stattdessen digital erzeugte Avatare.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Keine aufwendigen Fotoshootings, keine Gagen oder Reisekosten, keine Buyouts, dafür eine nahezu unbegrenzte Gestaltungsfreiheit. Ein KI-Model kann in Sekundenschnelle vom High-Fashion-Runway-Look zum lässigen Streetwear-Style wechseln und so eine breite Zielgruppe ansprechen. Echte CRM One-to-One-Kommunikation auf den Interessen einer einzigen KäuferIn und das zugeschnitten auf die aktuelle Jahreszeit oder den Wohnort der UserIn wird so kinderleicht.
Gleichwohl bleibt die Frage, ob sich durch diesen Trend die ohnehin rasanten Produktzyklen weiter beschleunigen. KI-Modelle lassen sich ohne Verzögerung „umstylen“ oder für neue Kollektionen recyceln, was die Abkehr vom menschlichen Faktor befördern und die Mode- und Modelszene weiter entmenschlichen könnte. Vom einstigen Glamour ist zwischen Gutscheinen für Shootings und MeToo sowieso nicht mehr viel übrig …
Individuelle Werbeeinblendungen
Algorithmen erkennen nicht nur, welche Kleidungsstile wir bevorzugen, sie spielen uns auch passgenaue Anzeigen aus – möglich wäre es etwa eine KI-generierte Version unserer selbst in der neuesten Kollektion des Lieblingslabels. Das steigert die Kaufbereitschaft, lässt jedoch zugleich ethische Fragen zur Datennutzung laut werden.
Real sehen, können wir bereits heute, dass ein von uns geliktes Bild oder Design in unserem Social Feed kurze Zeit später als Print auf einem T-Shirt oder Hoodie als Anzeige erscheint und wir praktisch genau das kaufen könnten, was uns kurz zuvor gefallen hat.
Zufall?
Diese auf den ersten Blick faszinierende Reaktionsschnelligkeit birgt allerdings auch Risiken. Schnell könnten Konsumenten überreizt werden, während das Angebot in derartiger Geschwindigkeit immer neue Produkte hervorspuckt. Eine individuelle KundInnenorientierung besteht zwar, gleichzeitig ist die Gefahr von Überkonsum und damit einhergehendem Ressourcenverschleiß nicht von der Hand zu weisen.
It’s the Experience. Virtuelle Anproben und intelligente Empfehlungen Online und in Bricks and Mortar.
Die Verschmelzung von KI und Augmented Reality (AR) führt zu einer völlig neuen Art des Einkaufens. Wo früher ein Gang zur Umkleidekabine unumgänglich war, ermöglichen heute fortschrittliche 3D-Modeling-Technologien und KI-gestützte Passformanalysen virtuelle Anproben im Handumdrehen. Die KundInnen sehen sich in Echtzeit mit dem gewählten Kleidungsstück bekleidet – so, als stünden sie tatsächlich vor dem Spiegel. Studien und Branchenberichte legen nahe, dass solche Innovationen die KundInnenzufriedenheit erheblich steigern können. Unternehmen wie Zalando gehen noch einen Schritt weiter, indem sie per App die exakte Kleidergröße bestimmen und somit die Convenience noch einmal steigern.
Bereits vor bestimmt zehn Jahren haben wir ein Konzept für einen „Fotoautomaten“ in Einkaufszentren gepitcht, der sämtliche Outfits des gesamten Centers virtuell verfügbar macht und somit Frequenzbringer und Erlebnis für die einzelnen Stores ist und gleichzeitig shareable User Generated Content für den Insta-Feed produziert, über den UserInnen direkt ihren neuen Look in der Timeline präsentieren können. Über KI könnten wir heute noch einen Schritt weiter gehen. BesucherInnen bekommen individuelle Style-Empfehlungen, basierend auf Körpermaßen, persönlichen Vorlieben, aktuellen Modetrends sowie eventuell vorhandenen Präferenzen eines persönlichen Accounts und werden anschließend direkt zu den jeweiligen Läden geleitet, um die ausgewählten Stücke dort zu shoppen. Dieses Konzept verspricht eine neue Dimension des Einkaufserlebnisses – sowohl in puncto Bequemlichkeit als auch Style.
Auch der Einkaufsprozess selbst wird zunehmend intelligenter – so finden sich mittlerweile in verschiedenen Geschäften wie Zara oder Uniqlo Self-checkout-Kassen, die die Kleidung per RFID-Label automatisch erkennen und somit den Prozess vereinfachen und beschleunigen. Das RFID-Label funktioniert übrigens auch bei den Sicherheitsschranken (nicht, dass wir es ausprobiert hätten) und die Security bekommt auf ihr Diensthandy direkt ein Bild des Artikels angezeigt, der soeben von den Sicherheitsschranken erkannt wurde. Die Technik kommt also nicht nur ShopperInnen, sondern auch den sonst so geplagten und unterbezahlten Angestellten zugute.
Home Sweet Home.
Das Ganze ginge natürlich auch in der eigenen Wohnung. KI-gestützte Mode-Assistenten, zum Beispiel im Smart Mirror zu Hause, bieten Outfit-Kombinationen an und analysieren den eigenen Kleiderschrank. Das sorgt für Inspiration und verhindert den Kauf doppelter oder unpassender Stücke.
Passendere Angebote – Weniger Retouren, geringere Umweltbelastung?
Gerade im Online-Handel sind Retouren ein gigantischer Kosten- und Umweltfaktor. Durch virtuelle Anproben und passgenaue KI-Empfehlungen lassen sich Fehlkäufe deutlich reduzieren. Das spart nicht nur Logistikkosten, sondern senkt auch die CO₂-Emissionen, die bei mehrfachen Liefer- und Rücktransporten entstehen. Gleichzeitig unterstützt eine Nachfrage-gerechte Produktionsplanung den Übergang zu einem nachhaltigeren Geschäftsmodell und trägt dazu bei, die hohen wirtschaftlichen und ökologischen Schäden durch unverkaufte Ware zu minimieren. Eventuell können die passgenaueren Angebote auch die Überproduktion einschränken, indem nur das angeboten wird, was tatsächlich gefragt ist.
Jedoch führt oft erst die Verfügbarkeit von einem Angebot zu einer wirklichen Nachfrage. Schon der Second-Hand Markt, der eigentlich eine nachhaltigere Nutzung von Kleidung verspricht, führt einfach dazu, dass wir KonsumentInnen am Ende des Tages einen noch volleren Kleiderschrank haben.
Digitale Markenbotschafter: KI-Influencer erobern die Bühne
Auch InfluencerInnen-Strategien bleiben vom KI-Trend nicht verschont. Das Traditionshaus Trigema hat beispielhaft „Charly den Affen“ als KI-gesteuerten Social-Media-Botschafter wiederbelebt. Solche digitalen Charaktere bieten den Unternehmen konstante Verfügbarkeit, verlässliche Markenrepräsentation und zugleich geringe Kosten. Allerdings wirft der Einsatz virtueller InfluencerInnen eine grundsätzliche Frage auf: Wie ehrlich und nahbar kann ein Testimonial sein, das keine menschlichen Emotionen besitzt und jederzeit perfekt austauschbar ist?
Von 2025 erwarten wir in Social vor allem Authentizität, Nahbarkeit und Nachvollziehbarkeit. Ob das aktuell eine KI liefern kann, bleibt abzuwarten. Letzte Statistiken zeigen zudem ein starkes zunehmen von Gated Communities und Subscriptionmodellen in Social Media, echte InfluencerInnen können sich daher eventuell auch durch eine gewisse Exklusivität abgrenzen. KI-InfuencerInnen hingegen durch ein absolutes Eingehen auf dem Gegenüber.
KI beflügelt das Storytelling: Gratwanderung zwischen Innovation und Emotionalität
Wie stark KI das Branding und die Kampagnenentwicklung prägen kann, zeigt unter anderem das Beispiel Mey & Edlich. Das Unternehmen nutzt KI-basiertes Bildmaterial, um klassische Werte modern und aufmerksamkeitsstark in Szene zu setzen. Doch je mehr KI in den kreativen Prozess Einzug hält, desto lauter wird die Sorge, dass der menschliche Funke auf der Strecke bleibt. Die unverkennbare Handschrift einer talentierten Fotografin oder eines Designers ist noch schwer in Algorithmen zu übertragen – und genau das macht oftmals den tief gehenden Reiz von Modekampagnen aus.
Doch der Einfluss von KI endet nicht nach dem Kauf.
KI-basierte Services können die Nutzungsphase verlängern und optimieren.
Digitale Pflegehinweise
Apps, die über einen QR-Code oder NFC-Chip im Kleidungsstück abrufbar sind, geben Hinweise zu Waschtemperaturen, Bügeltipps oder Kombinationsmöglichkeiten. KI-gestützte Bildanalyse könnte sogar Verschleiß im Auge behalten und rechtzeitig zur Reparatur raten. Unsere Waschmaschine könnte sogar die falschen Produkte in der aktuellen Trommel erkennen und so das Einlaufen des Lieblingspullis verhindern, was mir leider regelmäßig passiert.
Dieselben Daten könnten übrigens auch für das Recycling genutzt werden. Woraus besteht der Pulli? Wie sollte er am besten weiterverarbeitet werden? Aufknüpfen, flicken oder einschmelzen?
Wohin steuert das Textilmarketing mit KI?
Von der ersten Designidee bis zum finalen Recycling – nie zuvor waren in jeder Stufe eines Kleidungsstück-Lebenszyklus so viele technologische Möglichkeiten verfügbar wie heute.
Die kommenden Jahre werden zeigen, wie sich KI, Nachhaltigkeit und menschliche Kreativität zu einem zukunftsweisenden Dreiklang formen lassen. Wer KI als Werkzeug sinnvoll einsetzt, anstatt sich von ihr das gesamte Geschäft diktieren zu lassen, kann in einem hart umkämpften Markt sowohl ökologisch als auch ökonomisch profitieren. Automatisierung und Personalisierung sollten mit einem klaren moralischen Kompass einhergehen, um Mode als kulturelles Gut und nicht bloß als anonyme Massenware zu erhalten.
So liegt es an den Verantwortlichen in der Mode- und Marketingindustrie, diesen technologischen Umbruch mit Weitblick zu gestalten – damit Fortschritt nicht zum Selbstzweck mutiert, sondern den Weg bereitet für ein Modeverständnis, das Qualität, Innovation und Verantwortung in Einklang bringt.
Es wäre so bitter nötig.